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I n t e r v i e w s

V o l k e r   K r ö n i n g ,  M d B  ( S P D )

Volker Kröning, Jhg. 1945, Rechtsanwalt, ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages (Wahlkreis 50, Bremen-Ost) und im Haushalts-Ausschuss für den Bereich Verteidigung zuständig. Er war von 1979 - 1983 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und von 1983 - 1994 Mitglied des Senats der Freien Hansestadt Bremen (Innen -  Justiz - Finanzen). Von 1984 - 94 war er Mitglied der Nordatlantischen Versammlung.

Das Interview wurde am 17. Januar in Berlin aufgezeichnet, am 8. Febr. 2001 authorisiert:

Frage:

Zunächst zu Ihrem Selbstverständnis als Parlamentarier: In unserem politischen System stellt sich die Frage, was ein Parlamentarier im Haushalts-Ausschuss, zuständig für den Verteidigungsbereich, einbringen kann und was nicht.

MdB Kröning:

Als Mitglied des Deutschen Bundestages ist man erst einmal nach dem Grundgesetz der Allgemeinheit verpflichtet, muss also auch versuchen, Teilinteressen unter einen Hut zu bringen. Man muss lernen, dem Programm der eigenen Partei, von der man aufgestellt worden ist, den Wählern, die einem im Wahlkreis zu einer Mehrheit verholfen haben, und dann dem ganzen Volk, das die hier lebenden und arbeitenden In- und Ausländer umfasst, zu entsprechen. Das zweite Koordinaten-System, in dem man zu denken lernen muss, sind die Interessen und dabei gibt es einen ganzen Kranz von persönlichen Interessen, solchen, die einem mit auf den Weg gegeben worden sind, wobei ich besonders an den Wähler denke, aber auch den Interessen, die man sich mit der Zeit setzt oder denen man sich verpflichtet fühlt. Ich habe ganz bewusst den Haushaltsausschuss gewählt, wegen meiner Herkunft als Bremer und eines Jahrzehnte währenden Interesses an verteidigungspolitischen Fragen.

Frage:

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aufgaben Ihres Bereiches?

MdB Kröning:

Die Aufgabe, die ich mir unter Berücksichtigung dieses Koordinatensystems hier und heute gestellt habe, ist in erster Linie eine finanzpolitische. Sie lautet, den Staatshaushalt zu sanieren und zunächst, wie wir uns das in der Koalition vorgenommen haben, bis 2006 einen Bundeshaushalt ohne Neu-Verschuldung zu erreichen. Nach 2006 sind unsere Schulden in mehr oder weniger großen Schritten abzubauen. Doch wir können natürlich nicht nur Schulden abbauen, sondern wir müssen auch unsere Pflicht-Aufgaben erfüllen, an die Einnahmen wie die Aufgaben denken und die überragende Zielsetzung dieser Koalition in Erinnerung halten, gleichzeitig die Arbeitslosigkeit zu überwinden versuchen und den Bürger von der hohen Steuer- und Abgaben-Quote befreien. Wir haben eine überhöhte Staatsschuld und eine überhöhte Steuer- und Abgaben-Quote. Über beides müssen wir - und das kommt einem Zirkelschluss nahe - hinwegkommen.

Frage:

Wie kann man verschiedene Interessen finanzpolitischer und verteidigungspolitischer Art gegeneinander abgrenzen?

MdB Kröning:

In das Gesamt-Interesse - um einmal Allgemeinheit und Interesse zu verknüpfen - ordne ich jedes Teil-Interesse ein, was nicht heißen soll, dass Sicherheit nur ein Teil-Interesse sei, sondern mir ist vollkommen klar, dass auch die Teile in einer gewissen Hinsicht wieder das Ganze repräsentieren. Wenn wir etwas für unsere Gesundheit oder Alterssicherung, die innere oder äußere Sicherheit tun wollen oder gar müssen, dann ist das zugleich ein Gesamt-Interesse. Es gibt im echten Sinne nur ganz wenige Spezial- oder Partikular-Interessen. Selbst ein Minderheits-Interesse, muss ein Mehrheits-Interesse und Anliegen sein, wenn wir eine pluraler Staat sein wollen, der die Menschenwürde respektiert; das gilt für Mehrheit und Minderheit gleichermaßen. Diese “philosophische” Abschweifung habe ich nur deshalb eingeflochten, weil manche mir und in der Öffentlichkeit sagen, dass die Bereiche Finanzen und Verteidigung gegeneinander ausgespielt würden und im Zweifel die Verteidigungspolitik mit dem Rotstift gemacht werde. Dies ist blanker Unsinn. Ich halte den Vorwurf nur dann für berechtigt, wenn man das eine rücksichtslos gegen das andere ausspielt. Man kann es beliebig machen und blind finanzielle Forderungen für die Verteidigung erheben oder blind den Finanzen Vorrang einräumen und die Verteidigung sozusagen auf eine abschüssige Ebene schieben. Beides ist nicht meine Sache. Insgesamt hat die Finanzpolitik für alle Teilbereiche der Politik eine dienende Funktion, aber umgekehrt müssen sich eben auch alle in das, was wir erwirtschaften und bezahlen können, einordnen.

Frage:

Was bedeutet das konkret für die Reform der Bundeswehr?

MdB Kröning:

Konkret bezogen auf die Zeit ab 1998 heißt das, dass wir die Bundeswehr-Reform vorbereiten mussten, unabhängig davon, wie man das Konzept, welches jetzt durchgesetzt wird, bewertet. Nachdem die Entscheidungen gefallen sind, kommt es darauf an, sie umzusetzen und für alle Beteiligten, insbesondere die betroffenen Menschen, berechenbare Orientierungen zu finden. Meiner Meinung nach ist das mit einigen wenigen Unschärfen, die mehr den Rand als den Kern betreffen, mit der jetzt auf den Weg gebrachten Reform gelungen. Sie hat sich für die Wehrpflicht als Standbein entschieden. Ich bin strikt dagegen, die Wehrpflicht als ein “Auslauf-Modell” anzusehen. Zweitens hat man sich vor allem für die Modernisierung des Materials entschieden. Dafür müssen genügend Mittel bereitgestellt werden. Und wenn man nicht jeden Wunsch durch das Aufsatteln zusätzlicher Mittel erfüllen kann, muss man umstrukturieren, auch zwischen Personal- und Sachhaushalt. Dies muss mit den betroffenen Personen umgesetzt werden, nicht ohne oder gar gegen sie. In 2001 haben wir den Einstieg begonnen, die Schritte in den Jahren 2002/2003 halte ich für berechenbar.

Frage:

Wie ist die Reform unter einer mittel- und langfristigen Perspektive zu beurteilen?

MdB Kröning:

Über diese kurzfristige Orientierung hinweg kommt es darauf an, die mittel- und langfristige Orientierung zu schaffen, was bisher nicht erreicht worden ist. Die Finanzpolitik verfährt nach dem Zeitraum einer mittelfristigen Planung, aber die Ziele, von denen ich gesprochen habe, weisen darüber hinaus. Der Spielraum für den Verteidigungshaushalt wird nicht sehr viel größer. Andererseits brauchen die Verantwortlichen zur Planungssicherheit eine sehr viel längerfristige Perspektive. Dieses Dilemma zwischen mittel- und langfristiger Planung möchte ich dadurch auflösen, dass wir im Zuge der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung auch die Ziele und Schritte der Entwicklung des Budgets verdeutlichen. Die Befürchtung, die vor allem in der Zeit der vorherigen Regierungskoalition bestand, dass der tatsächliche Haushaltsvollzug immer wieder erhebliche Beträge aus dem geplanten Budget-Umfang entnimmt, muss ausgeräumt werden. Für unsere Politik möchte ich den Begriff “Kontrakt” verwenden. Es wird notwendig, für die Zeit ab 2005 - spätestens ab dem Jahr 2006, von dem an Haushaltsüberschüsse angestrebt werden - Gewissheit zu schaffen. Ich setze bei einer Verstetigung der Verteidigungsausgaben auf dem jetzigen Level von 2003/2004 an, also nicht mehr einer abstegenden Linie, sondern einer Geraden, wobei noch die Frage des Kaufkraftverlustes geklärt werden muss.

Frage:

Wenn ich Ihre Darstellungen bis jetzt richtig einordne, ergibt sich ja aus den verschiedenen grundsätzlichen Vorgaben, dass Sie kaum gestalterischen Freiraum haben.

MdB Kröning:

Dieser Feststellung kann ich nicht zustimmen. Die Möglichkeiten eines einzelnen Parlamentariers, die großen Linien zu gestalten, sind begrenzt, so mächtig die Abgeordneten des Haushaltsausschusses auch erscheinen mögen. Man hängt von einer gestuften Meinungs- und Willensbildung ab, und so ist ja über die Bundeswehr-Reform nicht im Haushaltsausschuss entschieden worden. Ich will auch dem Gerücht entgegentreten, dass die Bundeswehr-Reform vom Finanzminister entschieden worden sei. Nein, das ist hervorgegangen aus einem im Moment nicht zu beschreibenden komplexen Prozess, in dem dann doch wesentlich Auffassungen der SPD, gerade auch im Verhältnis zum Koalitionspartner, auch und vor allem die Methodik des Ministers ausschlaggebend gewesen sind. Ich habe in der Zeit der freien Diskussion mit konzeptionellen Darstellungen oftmals intern und auch öffentlich meine Meinung geltend gemacht. Seit dem die Entscheidung gefallen ist, orientiere ich mich natürlich nicht mehr an meinen Auffassungen, sondern an der Entscheidung. Aber niemandem ist es zu verbieten, die Reform an ihren eigenen Maßstäben zu messen. Doch bei der Ausfüllung des Rahmens, den das Kabinett abgesteckt hat und der sich in der Grob- und Fein-Ausplanung konkretisiert, ist mein Spielraum begrenzt. Dabei muss ich zwangsläufig auf die finanzpolitischen Imperative Rücksicht nehmen. An dieser Stelle sage ich ganz dezidiert, dass z. B. bei dem Bundeswehr-Plan 2002 den Finanzen ein großes Gewicht zukommt. Es gibt allerdings nur wenige, die bereit und in der Lage sind, das zu fomulieren: In der Exekutive ist das der Finanzminister und in der Legislative der Haushaltsausschuss. Hier haben die Berichterstatter eine ausschlaggebende Rolle, weil ihre Empfehlungen in der Regel übernommen werden. Also, ich habe nicht das Gefühl, dass ich bloßer Exekutor bin.

Frage:

Kann der Haushalts-Ausschuss, wenn es um Zukunfts-Fragen geht, von sich aus z. B. Studien als Auftrag vergeben, um neutrale Gutachten einzuholen? Wären dafür die Mittel vorhanden, wird das praktiziert?

MdB Kröning:

Eher nein als ja, aber nicht abschließend. Wir haben ein Institutionen-Gefüge, in dem wir solche Prüfbitten an die Regierung richten. Bei der Ausarbeitung der Bundeswehr-Reform haben wir aber gesehen, dass die Regierung das auch nicht mit Bordmitteln vorbereitet, sondern eine Kommission berufen hat, und die Mittel dafür haben wir wiederum vom Parlament bewilligt. Außerdem verfügen wir über die Möglichkeit, Fragen der Wirtschaftlichkeit, der Sparsamkeit, auch der Einhaltung des Haushaltsrechts und des Haushaltsgrundsätzerechts und der Einbeziehung neuer Methoden der Verwaltungsführung und der Haushaltswirtschaft uns vom Bundesrechnungshof beantworten zu lassen; er wird ja nicht nur aus eigener Initiative, sondern auch gutachterlich tätig. Wenn wir darüber hinausgehende Expertise wünschen, ist sie zugänglich. Davon wird aber in den seltensten Fällen Gebrauch gemacht; in kleiner Form bedient sich dessen natürlich jeder. Ich achte z. B. sehr darauf, was in der Fachpresse veröffentlicht wird, und mit meinem kleinen Mitarbeiterstab und schmalen Personalmitteln versuche ich auch, die Debatten auszuwerten und daraus Schlüsse zu ziehen. In Ausnahmefällen würde man sicherlich auch gutachterliche Ratschläge einholen können. Wenn es z. B. um die Fortentwicklung der Preispolitik bei der Beschaffung geht, weg von der konventionellen Preisgestaltung und -anpassung zu neuen Methoden, die uns Planungssicherheit in ganz begrenzten Budgets erlauben, dann will ich für den Fall, dass die Regierung etwas nicht zu Wege bringt, nicht ausschließen, dass wir uns aus dem Bereich der Wissenschaft Rat einholen. Da haben wir einige handfeste Themen vor uns: Wir beschäftigen uns noch mit den Industrieverträgen zu EURODASS, wir werden uns noch mit den Erfahrungen aus der Beschaffung des EuroFighter beschäftigen müssen, und wir haben ein riesiges Beschaffungsprojekt mit der Transall-Nachfolge vor uns, bei dem es dann auch um die Preis-Gestaltung geht. Darüber hinaus geht es um konventionelle oder moderne Finanzierungsmethoden; die Debatte um den sog. Commercial Approach hat ja bereits begonnen. In dieser Szene gibt es zwar viel Rede und Gegen-Rede auszuwerten, aber man findet kaum noch originellen Rat von Dritten.

Frage:

Das englische Parlament hat neulich einen sehr ausführlichen und genauen Bericht über die militärischen Erfahrungen im Kosovo-Krieg vorgelegt. Ist es denkbar, dass sich der Haushalts-Ausschuss, hier besonders die Verteidigungs-Experten, sich einer solchen Untersuchung, bezogen auf die Bundeswehr, auch einmal nähert? Oder müssten das eher die Parlamentarier des Verteidigungs-Ausschusses tun?

MdB Kröning:

In dieser Frage sehe ich den absoluten Vorrang der Verteidigungs- vor den Haushaltspolitikern. Uns beschäftigen die Erfahrungen des "Kosovo”-Krieges auch, z. B. hinsichtlich der Beschaffungspolitik und deren Gewichtung, also nicht "neu für alt", sondern Orientierung an einem veränderten Auftrag, Ableitung neuer Fähigkeiten. Das ist aber auch, wenn man es an diesem Beispiel diskutieren will, weitestgehend durch die NATO und die nationalen Stäbe vorbereitet. Doch wir müssen im Haushaltsausschuss oftmals Fragen formulieren, die über das rein Fiskalische hinausgehen und das Fachliche betreffen, z. B. die Frage des Verhältnisses eines Waffensystems zum Bedrohungsbild. Konkret sind das GTK zu nennen,  der Selbstschutz des Tornado oder jetzt die Komplettierung des EuroFighter um Komponenten, die nicht in der Bestellung enthalten waren. Wir haben durchaus Fachfragen gestellt und festgestellt - das darf ich zart andeuteten -, dass diese Fachfragen von uns stärker gestellt worden sind als vom Verteidigungsausschuss; dort holt man seinen Rat weitgehend aus dem Ministerium und geht offenbar immer noch von paradiesischen Vorstellungen aus, als sei für alle Wünsche Geld vorhanden. Wir können nicht nur Fragen stellen, die zu Deckelungen führen. Wenn man gewichten will, muss man über den Rasenmäher hinaus nach Prioritäten und Posterioritäten fragen, und das sind dann nicht gleich Antworten von unserer Seite, sondern wohlgemerkt zunächst Fragen.

Frage:

Wie ist die Verbindung der Arbeit des Haushalts-Ausschusses zur Öffentlichkeit zu beurteilen? Ich habe den Eindruck, dass die Geheim-Haltung noch genauso wie zu Zeiten des Kalten Krieges stattfindet. Alles ist Verschluss-Sache und nur ganz wenige Presse-Organe wie z. B. der Griephan-Dienst haben ihre Zugangs-Kanäle. Eigentlich müssten sie für alle Journalisten zugänglich sein.

MdB Kröning:

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, mein langjähriger Mitstreiter Helmut Wieczorek, hat das Verhältnis von Regel und Ausnahme bei der Geheimhaltung umgekehrt und hat die Zugänglichkeit von Unterlagen zur Regel gemacht. Nimmt man zum Beispiel gegenüber dem Parlament bei den Geheimen Erläuterungen - wie der Name schon sagt- eine Einstufung als “Geheim” vor, aber innerhalb des Geschäftsbereiches des Verteidigungsministeriums sind diese Unterlagen nur als Verschlusssache (VS-NfD) eingestuft.  Ich erlebe es oft genug, dass mir ein Vertreter der Wirtschaft ein solches Blatt vorlegt. Die Kopie stammt natürlich aus der Ministerial-Verwaltung oder aus den nachgeordneten Ämtern - ein unmöglicher Zustand. Da mich aber die Sache bisher nicht behindert hat, habe ich da nicht aufgeräumt.

Frage:

Die USA geben ein gutes Beispiel ab. Das Pentagon veröffentlicht fast jeden Tag eine Liste mit detaillierten Angaben über das beschaffte System, die Vertrags-Art, den Betrag usw. Normalerweise müsste in einem demokratischen Staat ein Verteidigungsministerium auch auf diesem Gebiet das von sich aus tun.

MdB Kröning:

Ja, das ist richtig. Ich habe noch nie dem Satz “Von Amerika lernen” widersprochen; wir müssen ja nicht alles übernehmen, aber uns zunächst einmal damit auseinander setzen. Außerdem gibt es eine Lebensweisheit: Was nicht als geheim oder vertraulich eingestuft wird, ist bei weitem nicht mehr so interessant. Wir leisten uns auch allerlei Pseudo-Debatten über diese Art von Geheimniskrämerei. Volle Transparenz stellt auch das Publikum vor sehr viel höhere Anforderungen, nämlich auszuwählen, worauf es zugreifen will, was es für wichtig oder weniger wichtig halten will.

Frage:

Es gibt ja auch die Möglichkeit, wichtige Papiere, deren geheimzuhaltende Punkte geschwärzt werden, in einer so “entschärften” Fassung herauszugeben, aber damit den wichtigen Inhalt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

MdB Kröning:

Ja, aber ich finde, dass die Fachpolitiker damit anfangen müssten, denn sie sind mehr dem Wohl und Wehe dieser Geheimhaltungspolitik ausgesetzt. Wir im Haushaltsausschuss kennen eigentlich überhaupt keine Geheimnispolitik. Die Ausschüsse tagen zwar ohne Zutritt der Öffentlichkeit - bekanntlich werden bei uns Ausschussberatungen nur ausnahmsweise öffentlich durchgeführt -, aber ich habe noch nie erlebt, dass etwas Interessantes, was im Haushaltsausschuss aufgerufen worden ist, der Öffentlichkeit verborgen geblieben wäre.

Frage:

Darf ich das eingangs bereits erwähnte Thema der längerfristigen Finanzpolitik noch einmal aufgreifen? Sie haben die langfristig “gerade” Entwicklungs-Linie” der Finanz-Erwartung in der Größenordnung der Finanzplan-Daten von 2003/2004 angesprochen und darauf hingewiesen, dass nach 2006 der Schulden-Abbau eintreten muss. Damit könnte man ja feststellen, dass es über 2010 hinaus eine doch sehr genaue Planungs-Grundlage für die Bundeswehr gibt, mit der man rechnen kann.

MdB Kröning:

Ich muss das differenzieren. Zunächst habe ich von einer “geraden” Linie gesprochen, die von 2003 auf 2004 feststeht. Dies ist ein Ansatz, von dem ich hoffe, dass er sich bis 2006 - dem “magischen Jahr" unserer finanzpolitischen Strategie - fortschreiben lässt. Falls wir innerhalb eines solchen Gefüges von Rückführung der Neuverschuldung und Abbau der Altschulden und in Verbindung mit Steuerentlastungen und günstigen weltwirtschaftlichen Rahmen-Daten mit einem Wirtschaftswachstum bzw. einem Wachstum der Steuereinnahmen rechnen können, ist ein knappes Anwachsen der Staatsausgaben denkbar, also nicht nur Konstanz, sondern ein mindestens um den Deflator bereinigter Zuwachs. In diesem Rahmen will ich eine Entwicklung der Verteidigungsausgaben, die nicht nur linear, sondern auch vorsichtig progressiv ist, nicht ausschließen - zumindest mit einem Ausgleich für die Inflation. Was die Umsetzung der Planung angeht, selbst einer korrigierten Planung - und ich halte die Planung für korrekturbedürftig -, ist das erstrebenswert und auch notwendig. Wir werden die Verteidigungsausgaben nicht verstetigen können, wenn die Geldentwertung aus dieser Linie mitfinanziert werden muss; das würde zu einer stetigen realen Reduzierung der verfügbaren Mittel führen. Vor dem Hintergrund der Reform halte ich das nicht für möglich und deshalb auch nicht für verantwortbar.

Frage: Der Deflator muss auf jeden Fall ...

MdB Kröning:

Ja, denn die Berücksichtigung der Lohn- und Gehaltssteigerungen einerseits und andererseits Personalstrukturverbesserungen und eine kontinuierliche Modernisierung der Streitkräfte sind essentielle Bestandteile eines solchen Programms, das ein Programm der Knappheit bleibt.  Das schließt eine energische und in den Erträgen anwachsende Rationalisierungsstrategie ein, die Rudolf Scharping und Hans Eichel vereinbart haben und die man eine Mobilisierung von Binnen-Reserven über Mehr-Einnahmen und Minder-Ausgaben nennen kann. Wenn das nicht passiert, hilft dem Verteidigungshaushalt niemand. Passiert das aber, kann es sein, dass man im Rahmen eines “best cast” der Staatseinnahmen ein paar zusätzliche Spielräume durchsetzen kann. Ich warne deshalb auch z. B. vor einer überbordenden Beschaffungsplanung. Um es noch direkter zu sagen: Die Bundeswehr-Planung darf nicht - wie in der Vergangenheit - einen Wunschkatalog aufmachen, der die Finanzplanung und die langfristige Finanzpolitik mehr oder weniger außer acht lässt, sondern die Bundeswehr-Planung muss zunächst einmal auf der Finanzplanung und den Zielen der Finanzpolitik aufsetzen und kann dann allenfalls die Marge kenntlich machen, die finanzpolitisch möglich und verteidigungspolitisch notwendig ist. Nicht vom verteidigungspolitischen, sondern vom finanzpolitischen Optimum kann ich mir eine Marge vorstellen, die nutzbar wäre, wenn die Wirtschaft sich günstig weiterentwickelt und die Risiken ausbleiben. Ich bin sehr gespannt, ob der erste Bundeswehr-Plan dieser Bundesregierung besser sein wird als die früheren Pläne. Die Kameraden mit und ohne Uniform, die daran arbeiten, dürfen eine erhöhte Aufmerksamkeit des Parlaments erwarten - und auch die Bundesregierung, die darüber beschließt.

Frage:

Ich mag ja nicht unken, aber das hängt doch davon ab, dass wir über einen sehr langfristigen Zeitraum - über das Jahr 2006 hinaus - Wirtschaftswachstum haben.

MdB Kröning:

Es muss auf jeden Fall höher sein als die Inflation, sonst gibt es nichts zu verteilen.

Frage:

Ich erinnere mich noch an das 1. Haushalts-Struktur-Gesetz; danach kamen noch einige. Die Wahrscheinlichkeit, dass es bis zum Jahre 2010 oder 2012 eine wirtschaftliche Abflachung gibt, die den Staat wieder zu Einsparungen zwingt, ist ja doch ziemlich hoch, so dass Ihre langfristige Strategie vom Grundsatz gefährdet wäre.

MdB Kröning:

Ja, ich bin deshalb auch der Meinung - ich habe das schon anklingen lassen -, dass im Interesse der Planungssicherheit der Bundeswehr-Reform alle intern und extern Beteiligten ohne jeden Defätismus eher von einer Unterkante als von einer Oberkante ausgehen sollten. Eines will ich noch einmal sagen: Ich bin sehr zuversichtlich, auch als Angehöriger einer rot-grünen Koalition, dass wir die Fehler der früheren Regierung vermeiden können, und zwar im Schutz der Finanzpolitik, den Verteidigungshaushalt ständigen Unsicherheiten in der Planung und Umsetzung auszusetzen. Dies setzt im übrigen Deutlichkeit nicht nur nach außen voraus, sondern auch nach innen. In der Bundeswehr und im Bündnis sollte man deshalb ganz klar sagen,  dass wir die Devise “mehr Klasse als Masse” und nicht das Gegenteil verfolgen.

Frage:

Es gibt ja eine unendliche Liste von Problemen und kritisch einzuschätzenden Trends, die viele Beobachter zu der Beurteilung veranlassen, dass die Bundeswehr-Reform finanziell so nicht durchzuführen sein wird. Von Seiten der Amtsträger hört man einen verhaltenen Optimismus. Wo würden Sie sich einordnen?

MdB Kröning:

Eher bei den Optimisten als den Kritikern, obwohl ich Illusionen vorbauen will. Wir werden nicht leicht eine Investitions-Quote von 30 % erreichen. Wir können froh sein, wenn wir sie dauerhaft auf über 25 % steigern. Bei unserer Investitionsplanung erwarte ich einen Abschluss der Priorisierung durch das Ministerium, denn das ist im vergangenen Herbst nicht geleistet worden und muss in diesem Frühjahr nachgeholt werden. Sonst lügen wir uns permanent in die Tasche und meinen z. B., uns 73 A400m leisten zu können. Ich bin im Gegenteil der Meinung, dass die beschlossene Verpflichtungs-Ermächtigung von 10 Mrd. DM, die noch nicht in Jahresscheiben aufgeteilt ist, die Obergrenze darstellt. Selbst wenn man noch so schlaue Finanzierungsmodelle erfindet, wird dies nicht ausreichen, um 73 Flugzeuge zu beschaffen. Täte man das, würde man es über das Knie brechen und mit Sicherheit nicht nur intern, sondern auch extern Probleme bekommen. Zum wiederholten Male müssten andere Vorhaben mit eindeutiger und höherer Priorität zurücktreten. Die Lösung kann nur eine radikale Überprüfung des vorhandenen und geplanten Großgeräts sein, um nicht nur der Modernisierung, sondern auch der Instandhaltung Rechnung zu tragen. Ich erwarte eine streng teilstreitkraft-übergreifende Gesamtplanung.

Frage:

Ein gewichtiger Teil sind die zu erwartenden personalpolitischen Trends, die recht kritisch eingeschätzt werden.

MdB Kröning:

Ich möchte mehr in Form eines Imperativs als eines Indikativs sagen, dass wir den personellen Faktor nicht vernachlässigen dürfen. Auch dort stellt sich die Frage des Wie. Ich bin gegen eine doppelbödige Planung der Veranschlagungsstärken, also der Zahl der Zeit- und Berufssoldaten. Wir müssen dies ableiten von der Planung der Wehrdienst-Leistenden, auch unter dem Gesichtspunkt eines gerechten und praktikablen Wehrdienstes. Es ist bedauerlich, dass es keine offene Debatte darüber gegeben hat, mit welcher Länge und welcher Struktur der Wehrdienst abzuleisten ist. Man hat sich schnell um den Vorschlag der Weizsäcker-Kommission herumgedrückt und im Kabinetts-Beschluss und bei der Umsetzung zu 2002 eine Festlegung getroffen. Es ist überhaupt noch nicht klar, zu welchen Erkenntnissen man in Verlauf des Jahres 2001 kommt. Man kann noch sehr viel Ärger bei den verfassungsrechtlichen Kritikern der Wehrpflicht bekommen. Es muss die Grundsatzdebatte geführt werden, wenn man diesem Prinzip treu bleiben und der offenkundigen Erosion dieser Säule unserer Wehrstruktur und -kultur entgegenwirken will. Zugleich muss man sich mit den verschiedenen Lösbarkeits-Modellen beschäftigen. In diesem Zusammenhang hoffe ich, dass die Fach-Debatte, die in Deutschland traditionell unterbelichtet ist, nach der großen Entscheidung nicht auch noch erstirbt, sondern fortgesetzt wird und hier und da auch die allgemeine Öffentlichkeit erreicht. Ich stimmte mit Wellershoff oder mit Naumann, um zwei Beispiele zu nennen, keineswegs immer überein. Doch bin ich mit ihnen der Meinung, dass wir mehr verteidigungspolitische - und auch rüstungspolitische - Öffentlichkeit und dafür auch Streit brauchen. Ärgerlich ist, dass manche Medien auf der einen Seite diesen Mangel beklagen, andererseits aber überhaupt nichts für diesen Streit tun und immer nur die Meinung der Total-Kritiker der Bundeswehr-Reform nachbeten lassen.

Frage:

Zum Schluss zur deutschen und europäischen Rüstung. Wie ist die Vergangenheit und die zukünftige Entwicklung aus Ihrer Sicht zu beurteilen, wie sollte sich das entwickeln?

MdB Kröning:

Ich gestehe ganz offen, dass ich kein ausgeprägter Industrie- oder Export-Politiker bin und ich will es auch nicht sein, also nicht mehr beanspruchen, als ich kann. Doch ich stehe in engem Kontakt mit Betriebsangehörigen, Managern, teilweise auch Gesellschaftern von Rüstungsunternehmen, was ich im übrigen auch gern mache - und ich muss mich sehr konzentrieren. Es tut mir leid, dass man nicht mehr Zeit für die kleineren und mittleren Unternehmen hat; sie werden immer nur dann wahrgenommen, wenn die Not am größten ist. Leider ist auch die Politik der Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft am Parlament vorbeigegangen und wird deshalb von der Wirtschaft immer nur mit der Regierung und nicht auch mit dem Parlament verbunden. Darum ist in den Augen der Wirtschaft die Strategie der Mehr-Einnahmen und Minder-Ausgaben gegen die Bürokratie durchzusetzen, und man erkennt dabei nicht, dass man das Parlament als Verbündeten hat. Es ginge sogar mit Parlament und Bürokratie besser, als ohne beide. Das sage ich gerade als langjähriger Regierungs-Praktiker. Um aber zur Frage zurückzukommen: Ich bin schon sehr daran interessiert, dass wir, so wie wir uns in der Verteidigungspolitik in einem Gefüge von Kollektivierung der Sicherheit und Integration auf der globalen und europäischen Ebene behaupten wollen, auch rüstungspolitisch behaupten - nicht im Sinne von Autonomie, sondern von Interessenvertretung unter Bedingungen der Interdependenz. Sie setzt voraus, dass wir überhaupt bereit und in der Lage sind, auch deutsche Interessen zu vertreten. Deshalb beobachte ich mit äußerster Aufmerksamkeit die Bestrebungen in den verschiedenen Branchen und Sparten des militärisch-industriellen Sektors, z. B. der Luft- und Raumfahrt-Industrie. Wir haben uns nicht zuletzt vor diesem Hintergrund zu der Airbus- statt der Antonov-Variante durchgerungen. Das ist nicht in erster Linie eine betriebswirtschaftlich, sondern eine sicherheits- und wirtschaftpolitisch begründete Entscheidung gewesen. Sie steht für mich übrigens auch in einem ganz engen Zusammenhang mit dem Aufbau eines europäischen Luftfahrt-Kommandos; davon lasse ich mich auch nicht durch die angedichteten Kontroversen mit dem Verteidigungsminister abbringen.

Frage:

Und wie steht es bei der Marine- und Heeres-Rüstung?

MdB Kröning:

Im Bereich der maritimen Industrie hoffen wir auf eine weitere europäische Konsolidierung, d.h. Kooperation und vielleicht auch Integration - eine sehr spannende Frage im Zusammenhang mit dem Korvetten-Auftrag. Dabei möchte ich erreichen, das die deutschen Interessen auch bei der Elektronik nicht untergehen. Reizvoll dabei ist, nicht ausschließlich auf eine deutsch-französische, sondern eben auch auf eine nordeuropäische Karte zu setzen, die Schweden und Großbritannien umfassen kann. Doch weiter: Wenn wir die deutsche Politik von Defensive und Intervention - um den Titel eines von mir mit-herausgegebenen Buches zu nehmen - konzipieren, dann sind naturgemäß die Landstreitkräfte das Standbein. Folglich müssen wir auch zu einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Heeres-Industrie gelangen.

Frage:

Die scheitert ja m. E. an einem ziemlich tiefgreifenden Gegeneinander von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall ...

MdB Kröning:

Das ist erkannt und genau der Punkt, und deshalb werden uns dazu politisch verhalten müssen. Wenn die Betroffenen untereinander etwas nicht schaffen, müssen wir dem unter Umständen nachhelfen. Bei Rheinmetall sind ja schon schöne Fortschritte erzielt worden und ich glaube, dass sich letzten Endes auch Krauss-Maffei nicht verschließen wird. Möglicherweise kann man die Interessen verknüpfen. Mit schon angelegten und künftigen Rüstungsvorhaben lassen sich beschaffungspolitsche Daten setzen, die dann vielleicht zu einer Überwindung dieser etwas affektiven Schwierigkeiten führen.

Frage:

Die USA haben im Mai letzten Jahres die Defence Trade Security Initiative (DTSI) gestartet, um den Rüstungs-Austausch zwischen europäischen Staaten und den USA zu verbessern. Gibt es deutscherseits ein Interesse an dieser Initiative?

MdB Kröning:

Wir haben das bisher wenig in den Blick genommen. Ich verfolge das Interesse, transatlantische Möglichkeiten nicht von vornherein auszuschließen. Weder will ich die nationale Politik zu Lasten der europäischen Politik gehen lassen - oder umgekehrt, noch die europäische zu Lasten der transatlantischen Politik - oder umgekehrt. Den wesentlichen Sicherheits-Rahmen sehe ich doch in der NATO und nicht in der EU. Doch besonders wenn es um Handel geht, ist es immer eine Frage von Wechselseitigkeit, und die ist in der transatlantischen Bilanz nicht besonders befriedigend. Wir eröffnen den Amerikanern mit dieser Form von “Freihandels-Mentalität” auf dem Rüstungs-Sektor immer noch mehr Möglichkeiten als sie uns.

Frage:

Die Amerikaner wollen das ja von sich aus - auch in ihrem Interesse - verbessern.

MdB Kröning:

Nehmen Sie folgendes Beispiel: Ich habe mich jahrelang damit beschäftigt, wie wir einen neuen Jäger oder einen neuen Transporter möglich machen. Wie Sie wissen, ist anstelle eines amerikanischen oder schwedischen Musters der EuroFighter gewählt worden. Jetzt erleben wir dasselbe wieder; die Alternativen Airbus/Antonov habe ich vorhin genannt. Die Briten aber genieren sich überhaupt nicht, den sehr viel weiter reichenden Flotten-Mix einschließlich amerikanischer Maschinen ins Auge zu fassen.

Frage:

Was von der Sache her natürlich auch richtig ist ...

MdB Kröning:

Ja, und nicht nur von der Sache, sondern auch von den Finanzen. Man kann eine breitere Palette anschaffen, kostengünstiger beschaffen. Hier leisten wir einen großen Tribut an Europa, auch zu Lasten unserer Kassen. Einkäufe in und - mehr noch - gemeinsame Entwicklungen mit Amerika würden uns da mehr bieten.  Das erlebe ich immer wieder, und ich halte dagegen. Selbst in der zur Zeit brandaktuelle Frage MEADS, einem amerikanisch-italienisch-deutschen Vorhaben, sind die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der amerikanischen Industrie interessant und sollten ruhig noch eine Weile fortgesetzt werden. Ob wir allerdings zu einer Beschaffung kommen, ob wir dann unter den neuen Raketen-Abwehr-Schirm kriechen, das alles sind noch offene finanz- und sicherheitspolitische Fragen. Aber ich weise es nicht von der Hand, und zwar nicht nur im Namen der Wirtschaftlichkeit, sondern auch im Namen des Bündnisses. Ich finde, das sollten wir Deutsche auch im Unterschied zu anderen, etwa den Franzosen, beachten. Wir sollten uns nie so blind auf eine Seite - sei es die der Franzosen oder die der Engländer - schlagen.

Frage:

Letzte Frage: Wie beurteilen Sie Ihre Arbeit? Macht das Spaß? Hat das Wert oder sind Sie eher öfters niedergeschlagen?

MdB Kröning:

Mir macht es unbändigen Spaß. Rückschläge und Niederlagen bleiben nicht aus, aber erstens gehe ich jeden Morgen ausgeschlafen an die Arbeit und zweitens habe ich auch das Gefühl, mich von der Stelle zu bewegen.

Dafür wünsche ich Ihnen weiterhin alles Gute, Gesundheit und Glück.

 

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